Die silberne Schlange     ( erschienen 2004 )



Titel Zeit und Inhalt Leseprobe

Auszug aus dem ersten Buch

Der Burgherr musterte die Reihen der Gefangenen. Es waren etliche darunter, die er gut gebrauchen könnte. Die Männer würde er durchweg in die Steinbrüche schicken, die Frauen könnten die Bauern bei der Feldarbeit unterstützen. Die Siedlung der Sorben würde er nachrückenden Bauern aus Franken überlassen.
"Was ist nun, Herr?" schnaubte neben ihm Uldarich. Der schwarze Ritter hatte ihn aus seinen Träumen gerissen.
Nervös trommelten Bertholds Finger auf dem Sims. Er sah Uldarich nicht an, sondern immer noch über den Hof. Von der unter ihm stehenden Gruppe der Männer wandte er seine Augen langsam weiter zu den Frauen und Kindern.
Viele sahen zu ihm hinauf - erwarteten sein Urteil, erwarteten seine Entscheidung. Andere starrten stumm und apathisch vor sich hin, so als würden sie sich dem Erwachen aus einem bösem Traum verweigern.
Sein Blick fiel auf eine Frau mit langem dunklen Haar in der ersten Reihe. Er versuchte hinter ihre traurigen, blaugrün schimmernden Augen zu sehen, aber es gelang ihm nicht. Sie erwiderte seinen Blick nicht. Ihr zur Seite stand ein Junge, den Blick in sich gekehrt, wie seine Mutter. Und doch drückte seine Miene Trotz, ja Stolz aus.
Das wunderte Berthold. Es erregte sein Interesse.

"Was ist mit dem Jungen dort vorn?" fragte er Gernot, der gleichfalls neben ihm stand.
"Die kleine Ratte ist gefährlich", riß Uldarich das Wort an sich. "Er hätte einen meiner Männer fast totgeschlagen."
"Ihr wißt auch warum, Uldarich", hielt Gernot ernst dagegen. "Walter wollte seine Mut..."

"Es ist genug", fuhr der Burgherr beide an. "Die Sorbin wird auf der Burg bleiben. Gernot soll sich des Jungen annehmen."
"Ich glaube, mich verhört zu haben", entgegnete Uldarich ärgerlich. "Ihr solltet den Balg mit in die Steinbrüche stecken."
Berthold hörte nur mit halbem Ohr der Rede des schwarzen Ritters zu. Noch immer blickte er zu der seltsamen Schönen hinüber. Doch Uldarich gab keine Ruhe. Schließlich drehte sich der Burgherr herum.
"Du hast dein Wort gehalten, Uldarich. Noch heute werden die Arbeiter aufgeteilt. Natürlich werden ich deine Dienste belohnen, doch taste mir diese zwei Gefangenen nicht an. Vielleicht, brauchst du eine Sklavin, schwarzer Ritter, die dir das Feuer aus dem Blut nimmt. Mir ist es gleich, suche dir deinen Anteil..."

Der Kirchberger hatte die letzten Worte noch nicht gesprochen, da ertönte ein lauter Schrei. "Hiäh." Laut, markerschütternd hallte er über den Hof der Burg. Merklich zuckten Wächter und auch Gefangene zusammen.
Hoch oben, auf der Spitze des Bergfrieds hatte sich ein großer Bussard niedergelassen. Das Verhalten des Vogels war äußerst ungewöhnlich. Vorsichtig beäugte er das Treiben auf dem Burghof. Nervös bewegten sich die gefiederten Schwingen, so als wolle er sich wieder in die Lüfte erheben. Aber er blieb auf seinem Platz.
Die Sorben blickten zur Turmspitze und flüsterten: "Der Butz. Der Butz ist zurückgekehrt." Ein Raunen ging durch die Reihen der Gefangenen. Unruhe entstand. Die Wächter wirkten verunsichert. Sie warteten auf eine Reaktion des Kirchbergers. Doch Berthold schien wie gelähmt.
Uldarich entriß einem nahestehenden Bogenschützen die Waffe.
"Verfluchtes Vieh! Na warte!"
Er legte einen Pfeil auf und visierte die Spitze des Turmes an. Berthold und die anderen ließen es stumm geschehen.