Hinter dem Weltenrand



Titel Zeit und Inhalt Leseprobe

Auszug aus Band 4, letztes Kapitel "Ende einer Odysee"

"Seht mich an, mein Prinz. Knapp und nur durch Zufall bin ich gestern im Morgengrauen dem Tod entgangen. Aber ich habe sie gesehen, ihr habt sie gesehen: kalte leblose Kadaver, die nur noch Fraß für die Fische waren. Das war einst meine stolze Mannschaft", sagte er zornig. "Man wird auf den Orkneys nicht begeistert sein von den vielen Toten. Die besten Seefahrer standen euch, Sir Henry, zur Seite. Und nur für euch, mein Prinz, für keinen Tempel, für niemanden sonst haben sie ihre Knochen hingehalten."
Der Kapitän der St. Magnus nahm einen großen Schluck Dünnbier. Als er den Krug wieder absetzte, wischte er sich fahrig den Schaum aus dem Bart. Man schwieg ringsum, denn nach dem gestrigen Tag nahm jedermann Rücksicht auf Sveighir. Nicht so Sir Henry.
"Sveighir, du hast dem Tod ins Auge gesehen", wies er den Kapitän zurecht, "und ich fürchte, er hat deinen Sinn getrübt. Mir mißfällt, wie du über den sprichst, der nicht in unserer Mitte weilt. Drum laß dein Gewäsch, da ich es leid bin, deine Worte zu hören."
"Das mein ich auch", stimmte Gwendolf Hellebrogge dem Earl zu. "Wenden wir uns dem Essen zu." Rhiannon, die Wirtstochter, schob nämlich just in diesem Augenblick einen großen Teller mit Brot und Speck auf den Tisch.
"Ihr eßt und sauft für drei, meine Herren", bemerkte sie schnippisch in die Runde. Gwendolf errötete sofort. "Wir haben ein lange Reise hinter uns, Mädchen", brummte Will.
"So..." sagte sie gedehnt. "Wo kommt ihr denn her?" Keine Antwort. Die Älteren blieben stumm. Allein Ither Wobblestone fühlte sich befleißigt zu antworten. "Äh... wir kommen von Schottland, Mylady." "Ah ja, Schottland", entgegnete sie etwas belustigt. "da geht es ja im Moment heiß her." "Was?" riefen die anderen wie aus einem Munde. "Sprecht, was geht dort vor?"
"Dacht ich's mir doch", sagte Rhiannon und stemmte die Arme in die Seite. "Ihr kommt gar nicht aus Schottland."
Die Männer schwiegen betreten, außer Harald Eulenauge, der sich ein verschmitztes Zwinkern nicht verkneifen konnte. Sie, die alten verwegenen Seebären, waren auf die List der kleinen rothaarigen Teufelin hereingefallen. "Merkwürdig seid ihr", spottete die junge Frau. "Sonst prahlen immer alle mit ihren Seeabenteuern, erzählen von Riesenschlangen, Walen und Seeungeheuern; doch ihr übt euch in Geheimnistuerei. So etwas bedeutet nur Ärger."
Gwendolf wollte schon sagen, 'halt das Maul und hole Bier, Weib'. Doch dazu kam er nicht mehr. Fionn O' Cannon stand hinter ihm.
"Belästigst du die Gäste", fuhr der Wirt seine Tochter an und schwappte dabei mit der vollen Bierkanne. "Du siehst doch, daß adlige Herren darunter sind."
"Verzeiht, Mylord", sagte er zu Sir Henry. "Wenn euer Hunger so groß ist, dann gäbe es noch Fisch oder Hammel gebraten. Ihr seid ein Mann, der es doch wohl bezahlen kann." "Wieviel ist's denn Wirt, was wir dir schuldig sind." "Zehn Schilling, Mylord, und ich zapfe geschwind euch eine Kanne Bier." "Dann zähl ihm das Geld ab, Ither und", der Earl blickte dem Wirt fest ins Auge, "wir nehmen Schaffleisch, Wirt."
Der Klang der Münzen wärmte O' Cannon das Herz. Der Hammel hing auf dem Vorratsboden, aber es war noch früh am Abend. Er trabte ab, um seinen Knecht zu rufen.
Der Earl beachtete ihn längst nicht mehr. Er war weg, weit weg mit seinen Gedanken - an jenem Abend mit David Morlay und Francesco Beranelli. Damals hatte alles mit einer Seekarte begonnen. Heute war von dem alten Papyrus nur noch ein kümmerlicher Rest geblieben. Er langte nach dem Bierkrug, wobei er unwillkürlich über den Tisch sah. Gwendolf wollte gerade einen Riesenkanten Brot mit seinem Dolch abschneiden.
"He Gwendolf", rief Sir Henry, "ich glaube, es ist an der Zeit, dir das Essen zu verdienen. An den anderen Tischen habe ich ein paar Instrumente liegen sehen. Spielt uns ein Lied."
Tatsächlich brachte Gwendolf ein paar Männer zusammen. Ja, sogar Seeleute, die nicht zur Flotte des Earls gehörten - Bretonen und Engländer. Zwei Harfen, ein Dudelsack, drei Lauten, eine Flöte und Gwendolfs Horn. Laut sang Douglas das Lied, das die Fischer der Orkneys über die Suche nach jener sagenhaften Küste im Westen kennen.

Wild sprüht die Gischt,
Laut lacht der Wal,
So treibt unser Schiff
durch Wellenkamm und Tal.

Es schlagen die Brecher
mit Macht über Bord;
Des Sturmes Gewalten
Sie tragen uns fort.

Doch steht felsenfest
in brüllender Nacht,
am unruhigen Ruder
hält der Steuermann Wacht.

Er kennt seinen Kurs,
der Weg scheint noch weit.
Das Schiff treibt nach Westen
bis ans Ende der Zeit.

Daheim in den Schenken
hat man sie gewarnt;
dort wartet die Hölle,
ihr werdet verdammt.

Doch ihr Traum erzählt anders,
malt fruchtbares Land,
das hervor wird tauchen
aus der nebligen Wand.

Wälder und Flüsse
voll von Getier,
berichtet der Nordmann
beim dritten Krug Bier.

So segeln die Männer,
trotzen Sturm, Wind und Meer
ihr Ziel ist das Waldland,
der Wikinger Mär.